Als ich vor kurzem spazieren ging, begegnete ich einer Gruppe von ungefähr 25 Hunden, die eifrig miteinander tobten.
In dieser Gruppe befand sich ein kleiner Welpe, dem das Spielen mit den großen Hunden sichtlich Freude bereitete. Allerdings hatte er nicht ausreichend Kondition, sich längere Zeit am Spiel zu beteiligen. Wenn es ihm Zuviel wurde, lief er zu seinen Besitzern, versteckte sich hinter deren Beinen und verschnaufte ein paar Sekunden. Wurde es in der Gruppe ruhiger, kam er wieder hervor und tollte mit den Anderen.
Ich ging etwas in die Hocke und wartete. Ich nahm Blickkontakt auf, fragte mit sanfter Stimme „ei wer bist Du denn?“ und irgendwann – die Freude war groß – kam er zu mir geflitzt und liess sich von mir streicheln.
Frauchen schaute stolz herüber. Eher aus Höflichkeit fragte ich, was das denn für eine Rasse sei. „Ein Pitbull!“, hieß es. Und die Rechtfertigung hatte das Frauchen auch schon eingebaut: „Wir haben uns bewusst für diese Rasse entschieden. Wir sind ja aus Niedersachsen, da ist das erlaubt. Der muss noch keinen Maulkorb tragen, der ist erst 5 Monate und unterliegt noch nicht der Maulkorbpflicht“.
Und da erinnerte ich mich. Aus meiner Zeit, in der ich in Hamburg-Wilhelmsburg am Reeseberg gewohnt habe. Dort, wo auch Ibrahim wohnte.
Es folgt eine wahre Geschichte, nachzulesen bei Wikipedia. Diverse Zeitungen haben berichtet, die Artikel sind auch heute noch online.
Ibrahim hatte ein lukratives Einkommen. Neben dem Drogenhandel ließ er sich dafür bezahlen, dass sein Hund andere Hunde tötete. Bei einem Hundekampf auf Leben und Tod wurden bis zu 6000DM umgesetzt. Für 2000DM wurden andere Hunde vom „größten Killer Hamburgs“ gedeckt.
Man muss wissen, dass ein Tier niemals ohne Motivation angreift und spätestens dann ablässt, wenn der Gegner kampfunfähig ist. Das wird von den Instinkten gesteuert. Um zu erreichen, dass ein Tier grundlos kämpft und final tötet, muss man die Instinkte entsprechend anpassen.
Und das ist Ibrahim vortrefflich gelungen.
Hauptausbildungsstätte für seine Kampfmaschine waren Spielplätze. Sein Pitbull Zeus wurde an Spielgerüste gefesselt und verprügelt. Man hat ihn gezwungen, sich in die Schaukeln zu verbeissen. Dem Hund wurden Autoreifen um den Hals gelegt, er wurde mit dem Motoroller über den Spielplatz geschleift und auf Bäume gehetzt. Ja – im Anfall größter Not können Hunde tatsächlich klettern. Die müssen nur genug Angst haben.
Parallel dazu wurde der Hund mit Anabolika regelrecht vollgepumpt. Als Dealer hat man ja seine Quellen.
Die Behandlung zeigte Erfolg. Der Hund tötete.
Jeder, in Wilhelmsburg wusste, was da vor sich ging. Die Behörden wurden informiert und man hat auch tatsächlich reagiert. Nämlich dahingehend, dass man die regelmäßig verwüsteten Spielplätze renovierte – innerhalb von zwei Jahren wurden unter Anderem 50 Schaukeln ersetzt.
Dabei blieb es jedoch nicht. Parallel dazu wurde Zeus auch als Waffe genutzt. Er sicherte Drogengeschäfte und alleine den Besitzer auf die Leinenpflicht hinzuweisen reichte aus, um mit Tode bedroht zu werden.
Zeus verlernte, andere Lebewesen zu vertrauen. Sein ganzes Leben wurde ein Kampf. Somit tat er auch auf der Straße das, wofür er umgestaltet wurde. Kämpfen und töten.
Im April 1998 wurde eine Frau mit ihrem Schäferhund Opfer eines Angriffs. Ibrahim bekam endlich die Auflage, den Hund zukünftig anzuleinen. Erfüllt wurde diese Auflage nicht – es gab auch keine Kontrolle.
Wohlgemerkt – Hund und Besitzer waren – unter anderem auch durch die zerstörten Spielplätze – stadtbekannt.
Zwei Jahre später gab es einen weiteren Vorfall, bei dem ein Labrador verletzt wurde. Aufgrund eines Fehlers bei der Anzeigenaufnahme ist nicht aufgefallen, mit welchem Hund man es zu tun hat. Weiter verfolgt wurde dieser Angriff sowieso nicht – sonst hätte man es mit ziemlicher Sicherheit bei der Nachbearbeitung bemerkt, mit wem man es wieder einmal zu tun hat. Der Name des Besitzers war ja aktenkundig.
Schon wenige Tage später gab es weitere Vorfälle. Ein Beagle wurde gerissen und starb. Ein Schäferhund wurde ebenfalls Opfer. Reaktion der Behörde war ein ein erneuter Hinweis auf die Leinenpflicht und die Verpflichtung, dem Hund einen Maulkorb anzulegen. Offiziell ausgesprochen wurde dies aber nicht. Ibrahim hatte sich nicht ordnungsgemäß gemeldet. Obwohl sein Wohnort bekannt war, hat man es bei dieser Erkenntnis belassen. Es passierte nichts.
Neben Zeus gab es noch Gipsy – die Hündin von Ibrahims Freundin. Auch hier zeigte die Umarbeitung des Instinkte erste „Erfolge“. Unter Anderem durch einen Angriff auf ein kleines Mädchen, der ebenfalls ohne Konsequenzen blieb.
Wilhelmsburg zitterte vor Angst – Bewohner und Mitarbeiter eines nahegelegenen Altersheims haben sich regelrecht verbarrikadiert, wenn Ibrahim spazieren ging oder Drogen auf der Straße vertickte. Die Behörden blieben weiter tatenlos.
Kurze Zeit später kam es zu einem finalen Vorfall. Volkan, ein sechsjähriger Junge, spielte auf einer Wiese neben der Grundschule Fußball. Gegen Ibrahims Hunde hatte er keine Chance. Das Kind wurde von den Hunden ohne Motivation und Vorwarnung regelrecht zerfetzt.
Und. jetzt passierte das, was passieren musste: Jeder, der Ibrahim kannte, zeigte mit dem Finger auf die Behörden. Doch statt eigene Fehler aufzuarbeiten, entschied man sich dort für eine völlig andere Strategie.
Ohne Konsequenzen aus den Erfahrungen zu ziehen, wurde der Vorfall zu einer Machtdemonstration sondergleichen. Der Schlagzeile einer bekannten Boulevardzeitung folgend, wurde der Vorfall weitestgehend auf die Genetik der Hunde reduziert. Die „Schuld“ ist letztendlich dort am Besten aufgehoben, wo sich niemand wehrt.
Statt den Vorfall gewinnbringend aufzuarbeiten, wurde der Vorfall politisch ausgeschlachtet. Bereits wenige Tage später entstand eine Kampfhundeverordnung. Der Pöbel war befriedigt. Das Problem war damit gelöst.
Durch das Verbot bestimmter Hunderassen hat man eine trügerische Sicherheit etabliert. Die anderen Hunde von Ibrahims Freunden liefen weiter frei herum. Das Verbot reichte als Sicherung.
Die Ausbildung der Tiere und das Verabreichen von Aufputschmitteln an Hunde waren und sind niemals Thema irgendwelcher Regelungen und Entscheidungen.
Selbst Ibrahim wurde als Opfer anerkannt: Den Umstand, dass auch er gebissen wurde, hat man strafmildernd gewertet.
Ein Besuch in der Stammkneipe „1001 Nacht“ nach dem Vorfall war unerträglich. Noch Monate später hat sich ein Gruppierung dort selber bemitleidet und die Schuld auf Volkan projiziert. Er hätte dort ja nicht spielen müssen. Die Leute wussten doch, dass die Wiese Ibrahims Hund gehört. Wie blöde kann ein Kind sein, neben einer Schule Fußball zu spielen?
20 Jahre später hocke ich jetzt hier und streichle einen kleinen Hund. Seinen Charakter würde ich als „Neugierig, zurückhaltend aber nicht ängstlich“ beschreiben. Der Hund macht mich glücklich – seine Freude und Ungezwungenheit steckt mich an.
Gleichzeitig schäme ich mich.
Ich schäme mich darüber, dass diesem Hund demnächst die Schnauze zugebunden wird. Aufgrund eines extremen Vorfalls, den er niemals erfassen kann. Der kleine Pitbull wird nie erfahren, warum er beim Spazierengehen nicht an Wurzeln knabbern darf. Er wird vermutlich nie ein Stöckchen durch die Gegend tragen und vielleicht auch nie eine Frisbee-Scheibe fangen.
Und das, obwohl er alles richtig gemacht hat.
Bitte versteht mich nicht falsch: Ich möchte keine Anarchie ausrufen. Ich finde Regelungen zum Umgang mit und zur Entschärfung von gefährlichen Hunden gut und wichtig.
Aber – bitte reduziert Lebewesen, egal ob Mensch oder Tier, nicht auf die DNA.
Minimale Forderung ist die Möglichkeit, die Gefährlichkeit eines Hundes widerlegen zu können. Zum Beispiel durch eine behördliche Vorführung.
Ich appelliere an alle politisch Verantwortlichen, die bisherigen Regelungen dahingehend zu ändern, dass der Blick in Zukunft auf das Wesen und nicht auf das Äußere eines Hunde gerichtet ist.